Der folgende Text erschien in der Ausgabe 241 der “Marginalien” der PIRCKHEIMER-GESELLSCHAFT E.V. im Jahr 2021/22

Stephan Rosentreter
Über das Lithographische Atelier Leipzig und die Künstlerlithografie

Die Baumwollspinnerei erwacht im gleißenden Schlaglicht, das angekratzt von den wenigen hohen
Gebäuden, Kirchtürmen und Schornsteinen der Stadt die Hauptachse der Fabrikanlage mit seinen wie
Fossilien im glänzenden Katzenkopfpflaster schimmernden Gleisbrachen flutet. Nur selten erlebt
man einen Drahtesel überschwänglich in zügigerem Tempo die Passage bewältigen. Die meisten
Fahrer und Fahrerinnen haben schon erlebt wie hart das Pflaster den Knochen trifft, wenn man von
der schlüpfrigen Paarung von Erdanziehung und tau- oder regennassem Gleisstrang zu Boden
gerissen wird. Auch bleiben dem empfindsamen Gemüt die schweren Nebel historischer Ereignisfülle
nicht verborgen. Sei es die jüngste Zeit mit der Neubeseelung des Industriekomplexes durch Kunst- und Kulturschaffende. Die Nachwendezeit, in der das Areal wie ein gestrandeter Wal zuckend,
röchelnd und von zahllosen Aasfressern ausgeweidet zu verenden drohte. Die sozialistischen
Produktionsjahre unter dem Motto der Planerfüllung in Dederonkitteln über nackter, schwitzender
Haut, flankiert in Blaumännern mit obligatorischer Bierfahne und blauem Veilchen von einer
Schlägerei in einer der Kneipen im ziegelroten Arbeiterwohnviertel. Die Zeit des zweiten Weltkrieges
und der Beschäftigung von Zwangsarbeitern und -arbeiterinnen. Und die ursprünglichen Jahrzehnte
der Stahl, Öl und menschliche Arbeitskraft verschlingenden Industrialisierung, des kapitalistischen
Produktionsdranges und der Hybris westeuropäischer Kolonialpolitik mit einer eigenen
Baumwollplantage in Deutsch-Ostafrika (heute Tansania), in denen die Baumwollspinnerei zur
größten Fabrikanlage ihrer Art in Europa heranwuchs.
In das Gebäude 18, das zentral zwischen zwei weiteren baugleichen Gebäudekolossen auf
dem Gelände verortet ist, findet der Suchende mehrere Möglichkeiten der Einkehr. Jedoch sind alle
mehr oder weniger schwer zugänglich und versteckt, sodass es dem Uneingeweihten viel Geduld und
Spürsinn abverlangt, in den Bauchraum des dreistöckigen Bauwerks einzudringen. Das tiefste
Geschoss birgt neben endlosen hallenartigen Fluren mehrere verwinkelte Räume und säulenbestückte
Säle. Ein unterschwelliges Brummen, Summen und Pulsen füllt die Luft, die ganzjährig
wohltemperiert und wohlwollend die menschliche Haut umspielt. In heißen Sommern kühlt sie die
erhitzten Gemüter erholsam ab und in kalten Wintern empfängt sie einen mit umarmender Wärme.
Dieser Umstand ist dem architektonischen Alleinstellungsmerkmal des Gebäudes zu verdanken, das
1885 auf dem von Karl Heine im Leipziger Westen urbar gemachten Sumpfland konstruiert wurde.
Um die Baumwolle verarbeiten zu können, war man auf ein ganzjährig gleichbleibendes Klima
angewiesen. Eine bauphysikalische Neuerung waren die doppelt angelegten, charakteristisch
gerasterten Fenstermodule die von innen und außen das unverwechselbare Erscheinungsbild dieser
Gebäude prägen. Die bis zu einem Meter dicken Klinkerwände tragen ihren Teil zum Gelingen bei.
Von diesem Raumklima ebenfalls profitierend, befindet sich in den Kellerhallen neben weiteren
druckgrafisch ambitionierten Werkstätten das Lithographische Atelier Leipzig.
Ganz in der Tradition der sächsischen Handels- und Messestadt Leipzig, als geschätztem Ort
der druckgrafischen Gewerke und Buchkunst, bewegen wir uns dort als Jünger der Steindruckerzunft
mit ihrer 200 Jahre von der bildenden Kunst bewahrten und angewandten Technik der Lithografie in
einem äußerst spannenden Berufsfeld. Von Alois Senefelder entdeckt und von ihm zuerst Chemische
Druckerey genannt, revolutionierte das weltweit erste Flachdruckverfahren die Medienlandschaft auf
dem Gebiet der reproduzierten, vor allem mehrfarbigen Abbildungen. Bis in die Anfänge des 20.
Jahrhunderts prägte die Lithografie das industrielle Druckgewerbe, wurde dann aber
gleitend vom moderneren, auf dem Prinzip der Lithografie basierenden Verfahren des Offsetdrucks
abgelöst.

Fortschritt und Tradition: ein Gewerk überlebt

Vergleicht man die gewerbliche Situation von heute mit der Blütezeit, hat man nicht nur subjektiv
den Eindruck, dass der Beruf des Steindruckers und die damit verknüpften Berufszweige tatsächlich
ausgestorben sind. Im industriellen Kontext spielt der Steindruck, wie schon erwähnt, seit den 1950er
Jahren des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr. Die rasante Weiterentwicklung auf dem Gebiet der
grafischen Industrie machten ihn obsolet. In der ehemaligen DDR gab es jedoch eine kleine, aber
etablierte Szene von Künstler*innen, Künstlerdrucker*innen und vor allem Grafiksammler*innen,
die dem Steindruck neben den anderen klassischen, originalgrafischen Drucktechniken wie
Hochdruck und Tiefdruck einen festen Platz in der Kunstlandschaft gaben. Das gleiche galt für die
Kunsthochschulen mit sehr gut ausgestatteten und frequentierten Werkstätten.
Als vollwertiges Ausbildungsgewerk gab es den Beruf des Steindruckers auch dann schon
lange nicht mehr. Doch in einem kleinen sächsischen Dorf in der Nähe der Napoleonischen
Schlachtfelder von 1813 gab es einen Meister, der in Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer zu
Leipzig ein hehres Ziel verfolgte und seit 1994 jeweils einen Steindrucklehrling unter seine Fittiche
nahm. Es galt den Beruf zu erhalten, wiederzubeleben und nach jeweils dreijähriger Ausbildung einen
Steindruckergesellen auszuwildern. So kam auch ich, auf der Suche nach einer Tätigkeit, die meinen
Talenten, Neigungen vielleicht sogar Leidenschaften entsprach, eines Tages an die gläserne
Garagentür der Steindruckerei Christian Müller in Großpösna. Als ich die niedrigen Werkstatträume
im Kellergeschoss des Einfamilienhauses betrat, schlug mir der Duft von Terpentin, Papier, saurem
Gummi arabicum und Dannemann Moods entgegen. In mein Blickfeld rückten antike Druckpressen,
eine Lithothek aus Drucksteinen unterschiedlicher Größe, Kunstplakate und Grafiken an den
Wänden. In den Ohren rührte die Johannespassion, ein wenig zu laut für die kleine Stereoanlage. In
diesen Minuten wusste ich, dass ich meine Berufung gefunden hatte. Nach dem für jeden Handwerker
bekannten Motto, Lehrjahre sind keine Herrenjahre, verbrachte ich drei ereignisvolle, arbeitsame und
vor allem lehrreiche Jahre. Meinen lieben Freund und späteren Kollegen Tobias Reinicke ereilte das
gleiche Schicksal, und wir beschreiten unseren beruflichen Weg seitdem gemeinsam. In den ersten
Gesellenjahren führte uns die Lithografie auf der Suche nach Geschichte, Weiterbildung, kollegialer
und überregionaler Teilhabe, Materialien und Maschinen an die verschiedensten Orte von Witzwort
über Paris bis Havanna. Leipzig sollte jedoch Wurzel, Heimatort und zukünftiges Domizil bleiben.
Im Winter 2003/2004 offerierte uns Bertram Schulze, der Geschäftsführer der
Baumwollspinnerei, gerade frei gewordene Räumlichkeiten, die unseren Anforderungen zur
Gründung des Lithographischen Ateliers Leipzig gerecht werden sollten. Hinter einer kleinen,
unscheinbaren Papptür, in einer Seitengabelung der sieben Meter hohen Gänge, empfingen uns zwei
ebenso hohe Räume, auf einer gemessen an der Raumhöhe verhältnismäßig kleinen Grundfläche von
gut 60 Quadratmetern. Diese waren voneinander durch eine zwei Meter hohe Ziegelwand getrennt,
auf der ein Glasfensterraster den Raum bis zur Decke füllte. Die Proportionen der Fensterfelder
erinnerten an japanische Papierwände. Die Vision einer Chefetage drängte sich unweigerlich auf. Es
war Liebe auf den ersten Blick, und in den folgenden Wochen bauten wir unsere Beziehung zu den
Räumen und diese selbst aus. Unter halsbrecherischen Manövern auf angelehnten Leitern in
schwindelnder Höhe wurden tote Rohrleitungen trenngeschweißt, Zwischenböden montiert,
Stahlträger lackiert und Wände gestrichen. Das Resultat war eine Eröffnungsfeier im kleinen Kreis,
um eine vom neuen Nachbar, dem Hochdrucker Thomas Siemon vom Atelier carpe plumbum,
geschenkte Mailänder Offsetandruckpresse und eine vom Maler Tobias Lehner geborgte Karl-Krause-Steindruckhandhebelpresse. Notwendige Verbrauchsmaterialien und Utensilien wie
Schleifsand und mehrere Kilogramm Gummi arabicum wurden als optimistische und großzügige
Materialspende vom Künstlerpaar Rosa Loy und Neo Rauch in unser »Start-Up« investiert. Aber
auch
ungläubiges Kopfschütteln der beiden Römerturm-Papiervertreter Karl Broisch und Norbert Pritsch
brachten uns nicht aus der Ruhe und konnten uns den Traum von der eigenen Lithowerkstatt nicht
madig machen. Der wohl mitleidig gespendete Stapel von Finnpappen erfüllt bis heute seinen Zweck
zur Trocknung und Pressung der handpressengedruckten Blätter, die in einer symbiotischen
Beziehung zwischen Künstler*in und Drucker entstehen.
Künstlerisch erfüllt vom Zauber der Bildfindung durch Reduktion und die richtige Wahl der
zeichnerischen Mittel und betraut mit Erfahrung und Einfühlungsvermögen des Druckers, wird die
auf dem Stein manifeste Idee in vervielfältigender Art und Weise auf das Büttenpapier gebannt. Das
Ergebnisspektrum reicht dabei vom mehrfarbigen, expressiven oft großformatigen Zinkplattendruck
junger Künstler*innen der sogenannten Neuen Leipziger Schule wie Yvette Kießling, Henriette
Grahnert, Friederike Jokisch, Franziska Holstein, Anya Triestram, Christoph Ruckhäberle, Tilo
Baumgärtel, Johannes Rochhausen, Matthias Weischer und Michael Triegel, über die klassische, in
der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst leidenschaftlich praktizierten, Steinarbeit mit
Tusche und Kreide mit Protagonisten wie Bernhard Heisig, Werner Tübke, Rolf Kuhrt, Rosa Loy und
Neo Rauch.
Die gedankliche Anwesenheit der Künstler*innen soll uns auch gleich mitten in eine
anschauliche Druckszenerie versetzen. Denn der Herstellungsprozess einer Lithografie oder
Originalgrafik bleibt dem Betrachter des fertigen Produkts verwehrt. Die fertige Grafik, in einen zum
Schutze des Papiers und der bildgebenden Druckfarbe verbrachten Rahmen, stellt das käufliche oder
im musealen Kontext ausgestellte Objekt oder Subjekt dar. Es konfrontiert den Betrachter mit der
Intention des Künstlers konkrete Inhalte, Formen- und Farbkompositionen und individuelle
Bildsprache in zweidimensionaler Art und Weise zu transportieren. Die Technik, die dazu gewählt
wurde, ist für den Betrachter meist zweitrangig. Dem Schöpfer sollte es jedoch nicht egal sein,
welches Mittel geeignet ist, seine Intention in die sinnlich fassbare Sphäre zu befördern. Hat sich ein
Künstler oder eine Künstlerin für die originalgrafische Technik der Lithografie entschieden, so finden
sie zum einen ein Mittel, dass es ihnen erlaubt, zeichnerisch bis malerisch eine Druckform zu
bearbeiten. Zum anderen ist das Spektrum an Arbeitsweisen auf einer flachen, makellosen
Steinoberfläche schier unendlich groß, was den Prozess der Bildfindung nicht unbedingt einfacher
macht.

Drucker und Therapeut: der Lithograf als Begleiter des künstlerischen Prozesses

Begeben wir uns nun an den Anfang der handwerklichen Prozedur. Der Steindrucker
umgangssprachlich auch Lithograf genannt, wählt der Idee des Künstlers entsprechend einen Stein
aus. Dieser sollte die benötigte Größe aufweisen und vom Härtegrad auf die Arbeitsweise des
Künstlers ausgerichtet sein. Der Stein, der zum lithografieren taugt, ist seit der Erfindung des
Steindruckes und bis heute der Solnhofener Kalkschiefer. Der Ort seiner Herkunft ist ein Steinbruch
im Altmühltal. Entstehungsgeschichtlich lagerten sich vor ungefähr 150 Millionen Jahren
kalkschalige Einzeller in unvorstellbarer Menge in einer lagunenartigen Situation auf mehreren
Metern Dicke zu planparallelen Schieferschichten ab. Diese sind homogen beschaffen und können
von wenigen Millimetern bis mehrere Zentimeter dick sein. Zwischen diesen Kalksteinschichten gibt
es Trennebenen, die zahllose Fossilien wie Ammoniten, Fische, Quallen und Urvögel beherbergen.
Von den weltweit einzigartigen Funden des Archeopteryx sind mittlerweile zwölf Exemplare hier
gefunden worden. Der Steinmetz bricht aus den Schieferlagen Schollen heraus, die dann auf ein
taugliches rechteckiges Format gehauen werden. Eine spezielle Technik des Stockens der
zentimeterhohen Steinseiten und ein muschelartiges Abschlagen des Steinrandes, erzeugen das
typische Erscheinungsbild eines Lithografiesteins. Die Dicke von mindestens fünf Zentimetern ist
notwendig, damit der doch spröde Stein unter dem hohen punktuellen Druck in der Druckpresse nicht
bricht. Der Steindrucker muss nun die Oberfläche mit losem, sandartigem Schleifmittel, Wasser und
einem Gegenpart abschleifen. Dazu taugt ein zweiter Stein ebenso wie eine rotierende Schleifscheibe
aus Stahl. Die Beschaffenheit des Schleifsandes ermöglicht die Aufbereitung einer homogenen,
feingekörnten Oberfläche. Mit dem
Schleifen eines schon gedruckten Steines wird auch das alte Motiv und die damit einhergehende im
Stein befindliche Kalkseife entfernt.
Hat nun der Künstler einen so präparierten Stein vor sich liegen, gilt es verschiedene Hürden
zu nehmen. In Anbetracht der Tatsache, dass die spontan aufgebrachte Zeichnung nicht mehr zu
korrigieren ist, empfindet der Zeichner in der Regel beim ersten Kontakt eine unbehaglich
daherkommende Scheu, die makellose Fläche zu bearbeiten. Ist ein Künstler dagegen schon versiert
im Umgang mit dem Stein, wird er schnell begreifen, welches Potenzial das Material im Gegensatz
zu einem Blatt Papier bietet. Denn Korrekturen oder vielmehr beherzt eingesetzte mechanische
Eingriffe wie Schaben und Kratzen und ein wiederholter Einsatz des Zeichenmaterials bergen auf
dem Weg der Bildfindung einzigartige Ausdrucksmöglichkeiten.
Eine weitere Hürde stellt die für den direkten Druck notwendige spiegelverkehrte Umsetzung
des Motivs dar. Ebenso tut sich manch einer schwer zu imaginieren, dass es sich bei einer Lithografie
bei weitem nicht um eine schlichte Kopie des gezeichneten Bildes handelt, sondern mit dem
Aufbringen der wasserfeindlichen Zeichenmaterialien eine druckfähige Situation erzeugt wird. Dies
ist vor allem bei ein- oder mehrfarbigen Arbeiten der Fall. Die zu druckende Information muss zu
hundert Prozent in all ihren Abstufungen untergebracht werden. Als Zeichenmaterialien taugen im
klassischsten Falle mit Fett angereicherte Tusche und Kreide. Diese sind idealerweise schwarz
eingefärbt. Aber auch zeitgemäße Materialien wie Edding oder Acryl verhalten sich im Druckprozess
günstig. Wichtig ist allein, dass beim Auftragen von schlichtem Wasser dieses verdrängt wird, damit
die Druckfarbe an den bezeichneten Stellen haften kann. Der Kalkstein selbst verhält sich durch das
Wasser, das er naturgemäß gleich einem feinporigen Schwamm aufnimmt, der Druckfarbe gegenüber
abweisend. Damit wäre auch schon geklärt, wie eine Flachdruckform funktioniert.
Hat der Künstler seinen Part erfüllt, braucht es nun eine große Portion Vertrauen in den
Drucker, in dessen Hände er sein Werk übergibt. Nicht selten stecken in einer Steinzeichnung
Stunden, Tage sogar Wochen der kreativen Arbeit. Mit einem unachtsamen Handgriff kann der
Drucker alles zerstören. Die Zeichnung wird nun fachkundig präpariert. Dazu wird die
Steinoberfläche mit einem Gemisch aus Gummi arabicum und Salpetersäure überzogen. Dies
bewirkt, dass das Steinmaterial während des Druckvorgangs auch wirklich keine Druckfarbe
annimmt und somit sauber bleibt. Würde man diesen Schritt auslassen, besteht die Gefahr, dass
Pigmente der Druckfarbe und das Wasser emulgieren und ein unerwünschter toniger Film den Stein
überzieht. Auch sehr dicht gezeichnete Bereiche könnten beim Aufbringen der viskosen Druckfarbe
verschmieren oder wie der Drucker sagt »zugehen«.
Soll eine farbige Lithografie entstehen, vermittelt der Künstler nun, welchen Farbton er
wünscht. Dies kann mittels eines Farbfächers geschehen. Aber auch im Raum befindliche
Gegenstände und Utensilien taugen als Vorlage. Dem Drucker, der sein Handwerk versteht, ist es
gleich. Zum Erzeugen des Farbtons benutzen wir in der Regel die drei Grundfarben Magenta, Cyan
und Gelb, die unter Verwendung von transparentem oder opakweißem Bindemittel oder Schwarzer
Druckfarbe modifiziert werden können. Binnen weniger Minuten mischt der Drucker unter den
staunenden Augen des Künstlers, dem begleitenden schmatzenden Geräusch der Farbe und dem
Klicken der Spachtelklinge auf dem Farbstein eine eiscremeartige Masse, die meist wenig mit der
Intention des Künstlers zu tun hat. Erst ein Abtupfen auf einem Streifen Papier lässt erkennen, wie
sich die Farbe im Druck darstellen wird.
Hat der Drucker die Peripherie um die Druckmaschine vorbereitet, also das Papier gefeuchtet,
die Druckwalze eingefärbt, die Gleitpappe gefettet, den Stein positioniert, den Druck einjustiert,
Druckbeginn und -ende markiert, Wassereimer und Viskoseschwämme arrangiert und alle benötigten
Chemikalien griffbereit, kann es los gehen. Der magischste Moment, dem Künstler wie Drucker
respektvoll bis ängstlich entgegensehen, wird olfaktorisch aufgewertet, indem der ätherische Duft des
Terpentinbalsams die Nasenschleimhäute für sich einnimmt. Mit einem Lappen und besagtem
Lösungsmittel wird die Zeichnung oder vielmehr das Zeichenmaterial entfernt. Auf dem Stein bildet
sich nichts weiter als ein trübes Schattenbild der
ursprünglichen Darstellung ab. Mit einem wassergetränkten Schwamm wird der Stein abgewischt
und die Chemie und Physik des Druckvorgangs kristallisiert sich heraus. Das Steinmaterial nimmt
das Wasser gierig auf, und die unter dem Zeichenmaterial im Stein entstandene Kalkseife lässt das
Wasser abperlen. Mit beherzten Walzbewegungen wird nun die Druckfarbe aufgetragen. Für den
Unkundigen sieht es vielleicht aus, als würde man Teig ausrollen. Und wie von Zauberhand erscheint
das Motiv in neuem Glanze. Nur eben in dem Farbton der Druckfarbe.
Ein geübter Blick des Druckers positioniert das zurechtgerissene Büttenpapier auf dem Stein.
Eine gleitfähige mit Rindertalg eingefettete Plastiktafel wird daraufgelegt. Der Schlitten, der
tischartige, bewegliche Part der Druckpresse, wird mit einer Handkurbel unter den
Druckmechanismus befördert. Mit Hilfe eines Hebels wird ein Birnbaumholzrakel oder Reiber
niedergedrückt. Dieser übt nun einen sehr hohen punktuellen Druck aus – auf einer Linie, die so breit
wie die abzudruckende Fläche des Steins misst. Der Schlitten wird mit der Kurbel weiterbewegt, bis
der Stein endet. Dann wird der Druck gelöst und der Schlitten in seine Ausgangsposition gebracht.
Mit ruhiger Hand wird das Blatt abgelöst und die Protagonisten sind mit dem Ergebnis ihrer
Handlungen konfrontiert.
Für den Drucker ist entscheidend, ob sich alles abgebildet hat, was an Zeichnungsinformation
untergebracht war. Der Künstler muss entweder feststellen, dass auf dem weißen Bedruckstoff seine
Zeichnung doch anders wirkt als auf dem fondbildenden gelblichen Stein, oder er ist erfreut über ein
gelungenes Resultat. In der Regel ist die Enttäuschung über die drastische Wandlung des Motivs in
Kontrast und spiegelverkehrter Perspektivänderung groß. Der Drucker ist in einer solchen Situation
Therapeut und Freund und versucht die Gemütsverstimmung zu relativieren und ins rechte Licht zu
rücken. Er hat noch einige Tricks in petto, um die Sache wieder zu richten. Am Ende sollen doch alle
Beteiligten zufrieden sein, aus den gemachten Fehlern gelernt haben und darauf aufbauend die
errungene Erfahrung in weitere Projekte einbringen. Übung macht hier in jedem Fall den Meister.
Gerade im handwerklichen Kontext, trifft der Ausspruch, man wächst an seinen Aufgaben,
wirklich zu. Im Laufe der Jahre kam es zu zahlreichen spannenden Projekten. Auftraggeber waren
Künstler*innen, Galerien, Museen, große Verlage, kleine Kunstbuchverleger*innen, kunst- und
grafikaffine Vereine wie auch der Leipziger Bibliophilen-Abend. Ich erinnere mich noch an den
ersten Auftrag im ersten Jahr der Selbständigkeit mit dem damaligen Professor für Lithografie und
Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, Rolf Münzner. Er war und ist bis heute
der Meister der Asphaltschabmanier. Eine lithografische Technik, bei der der Stein mit einer dünnen
Schicht von syrischem Asphalt überzogen wird. Ursprünglich nutzte man die Fotoempfindlichkeit
des Asphalts, um Fotopolychromlithos herzustellen. Rolf Münzner bearbeitet die karamellbraune
Fläche, die sich herstellungsbedingt eher kleinformatig darstellt, mit Radierwerkzeugen, Nadeln,
Schabeisen und zurechtgestutzten Küchenmesserklingen. Er holt mit archäologischer Vorsicht und
Akribie die Steinoberfläche ans Licht. Schabt, kratzt weiße Linien, Schraffuren ins Dunkel,
modelliert Figuren und erzeugt Räume, die von dieser Arbeitsweise dadurch profitieren, dass die
dunkle Fläche dem Ort der ursprünglichen Schöpfung, dem dunklen, endlosen Schwarz des
Universums entspricht, in dem sich Lichtpunkte, Strahlen, Auren, Nebel, kugelförmige Gas- und
Gesteinsformationen seit Ewigkeiten und bis in die Unendlichkeit pulsierend demjenigen offenbaren,
der in der glücklichen Situation ist, optische Reize mittels dafür notwendiger Sinnes- und
Nervenzellen zu verarbeiten. Der heikle Umstand dieses Debüts war jedoch, dass ich durch die
mahnenden Worte des Werkstattleiters, Michael Wiesner, nicht wirklich locker ans Werk gehen
konnte: Professor Münzner würde mich fertig machen, wenn ich das nicht hinbekomme, ich könne
meine Druckerkarriere gleich an den Nagel hängen, denn Professor Münzner hat Einfluss in der
Grafikszene, und ich solle einfach die Finger davon lassen. Ob nun als Initiationsmasche provoziert
oder aus wirklicher Sorge um meinen beruflichen Werdegang formuliert, die Überwindung der
dadurch erzeugten Angst, alles aufs Spiel zu setzen und die
erfolgreiche und für den Künstler und den Auftraggeber Herbert Kästner zufriedenstellende
Erledigung des Auftrags, ebneten den Weg in ein selbstbewusstes Druckerleben.
Was bedeutet es Künstlerdrucker zu sein? Wie schon beschrieben, sollte man gewisse Talente,
Leidenschaften und Veranlagungen mitbringen, die jederzeit hinterfragt und in selbstreflexiver Weise
ausgelotet werden wollen. Dazu zählen: Ausdauer, um den mitunter stundenlangen, in steter
Wiederholung einzelner handwerklicher Handlungen ausgeübten Auflagendruck zu bewältigen.
Geduld, um die unfertigen Zustände einer mehrfarbigen Lithografie im tagelangen
Entstehungsprozess auszuhalten. Empathie für die Künstler*innen, die oft unbedarft und unsicher
dem für sie neuen Medium entgegentreten. Verständnis für künstlerische Ausdrucks- und
Darstellungsweisen. Die Fähigkeit der kontemplativen Einkehr beim Schleifen der Steine. Wobei
diese unter Erzeugung eines monotonen Rauschens zu Gebetsmühlen werden, führt man sie
gegeneinander aufgelegt in lemniskatenähnlichen unzähligen Schleifen dem gebrauchstauglichen
Zustand zu. Ein Gespür für Farbe und derer in mineralölhaltiger Verkörperung entsprechenden
Handhabung in Bezug auf Viskosität, Dichte, Masse und Augenscheinlichkeit. Konservatismus,
wenn es darum geht, die Künstler*innen davor zu bewahren, das Fahrrad zum zweiten Mal zu
erfinden. Pioniergeist, beim Entwickeln völlig neuer Strategien und Lösungen zur Bildfindung und
Realisierung der künstlerischen Intentionen in Bezug auf Zeichenmaterial und andere technische
Neuerungen im lithografischen Kontext. Denn man muss sich auch immer vor Augen halten, dass
Alois Senefelder zu seiner Zeit als Entdecker und Vorreiter handelte. Und nicht zuletzt Demut, vor
dem Alltag, der Dienstleistung, dem Erfolg, dem Lob, der Eitelkeit und dem Leben.

Offset und Zukunft: über Missverständnisse der Originalgrafik und den Blick nach vorn

Heute umfassen die Räumlichkeiten des Ateliers gut 300 Quadratmeter. Aus dem ursprünglichen,
eher manuell orientierten Werkstattkonzept herausgewachsen, bespielten wir wenige Jahre nach
Gründung, mit Hilfe des Malers Christoph Ruckhäberle, der uns sein Hochdruckkelleratelier
übereignete, einen Drucksaal mit zwei großformatigen Offsetandruckpressen der Marke FAG aus der
Schweiz und Zetaconte aus Tschechien. Erstere dient uns zum Druck kugelgekörnter Zinkplatten und
belichteten Offsetplatten, mit einem Papierfundament, das den gesamten Büttenbogen von knapp 106
x 78 Zentimetern aufnimmt. Letztere ermöglicht es uns Steine im Format bis 60 x 80 Zentimeter
einzusetzen. Jede Steindruckerei hat sich auf andere Maschinen und Druckformen eingestellt. Von
kleinen Handpressendruckereien bis zu Werkstätten, die auf den Einsatz von tonnenschweren,
lederriemengetriebenen Schnellpressen aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert setzen.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um die Vorzüge der von uns eingesetzten
Offsetandruckpressen kurz zu erläutern, und gleichzeitig auf ein häufiges Missverständnis eingehen,
das mit dem Begriff Offset verbunden ist. Aus dem Englischen übersetzt, bedeutet Offset so viel wie
Absetzverfahren. Elementarer Bestandteil dieser Technik ist ein Druckzylinder, der mit einem circa
zwei Millimeter starken Drucktuch aus Gummi bezogen ist. Die haptische Beschaffenheit gleicht dem
Gummi eines herkömmlichen Stempels. Und wie dieser, ist das Gummituch in der Lage Druckfarbe
von der zuvor eingefärbten Druckform abzunehmen, und dann unter ebenso hohem Druck an den
Bedruckstoff abzugeben, abzusetzen. Der Begriff Bedruckstoff impliziert einen der Vorteile dieser
Maschinen, denn neben den klassischen Bedruckstoffen wie Zellstoffpapier und
Baumwollbüttenpapier können auch alternative Materialien wie Acrylglas, Metallplatten, sogar Stoff
bedruckt werden. Der zweite große Vorteil für Künstler*innen besteht darin, dass die Druckplatte
seitenrichtig bezeichnet werden kann. Die Umkehrung findet sich auf dem Gummituchzylinder und
wird dann ursprünglich seitenrichtig auf das Papier abgedruckt.
Dass eine auf diese Weise erzeugte Grafik keine Originalgrafik mehr sei, ist ein
weitverbreiteter Irrtum. Eine Originalgrafik definiert sich durch den
Herstellungsprozess der Druckform. War also die Hand der Künstlerin oder des Künstlers mit dem
die Zeichnung erzeugenden Werkzeug wie Pinsel, Kreide, Stichel, Radiernadel und so weiter direkt
auf der Druckform, spricht man im klassischen Sinne von einer Originaldruckgrafik. Heutzutage
muss man diesem Ereignis- und Schaffensraum sogar noch um den Einsatz von digitaler Technik als
Werkzeug im weitesten Sinne erweitern. Die Form der Übertragung der Druckfarbe spielt eine
untergeordnete Rolle.
Der passgenaue Mehrfarbendruck durch eine justierbare Papieranlage ist ein weiterer Grund,
mit diesen Pressen zu arbeiten. Schließlich stehen wir meist zu zweit vor der Maschine. Der eine am
Plattenfundament präpariert, wischt und sorgt für die Regulierung der Farbmasse, hat also schmutzige
und feuchte Hände. Der andere legt mit sauberen Händen die Papierbögen an, nimmt sie auf und legt
sie im Stapel ab. Auf diese Weise sind auch immer zwei Augenpaare dabei, das Verhalten der
Druckform, das Druckergebnis und die Qualität von Druckgang zu Druckgang zu überwachen. Der
Einsatz der unterschiedlichen Maschinen und lithografischen Druckformen wird von uns an die
Arbeitsweise der Künstler*innen angepasst. Mit jahrelanger Erfahrung finden wir meist die passende
Kombination der benötigten Mittel. Die Leidenschaft hat über die Jahre nicht nachgelassen, und wir
bleiben immer offen, mit der Fachkenntnis gelernter Handwerker und der Empathie für künstlerische
Schaffensprozesse, bewährte und neue Wege bei der Herstellung originaldruckgrafischer Editionen
zu beschreiten.

Bei allem Enthusiasmus und Freude an der Berufung gibt es auch immer den wohlverdienten Moment
des Feierabends, der Ruhe und Erholung. Nach vollendetem Tagewerk locken uns die übrig
gebliebenen Sonnenstrahlen nach draußen, und wir begeben uns auf den holprigen Weg über das
hitzeflimmernde Katzenkopfpflaster und die blankgewetzten Schienenstränge, vorbei an kleinen,
ambitionierten und gestandenen Galerien, passieren den Künstlerbedarf, die lokale Gastronomie und
das Verwaltungsgebäude, durchschreiten die breitmaulige Geländeeinfahrt und überqueren die
Spinnereistraße. Hinter einem hohen Zaun befindet sich die geländeeigene Schrebergartenanlage.
Diese diente in der Zeit der Baumwollverarbeitung den Mitarbeitern als Naherholungsgebiet. Diesem
Zweck zu entsprechen, haben wir dort mit Abstand zu Chemikaliengeruch, hautentfettenden
Lösungsmitteln und Maschinenlärm ein Refugium etabliert, das mit Blüten- und Nadelbaumduft,
Schatten- und Sonnenbad und Vogelgesang den notwendigen und verdienten Gemütsausgleich
schafft, um dann zu späterer Stunde bei einem kühlen Bier oder einem Glas Wein, Utopien und
Visionen von der Rolle der Druckgrafik oder der Lithografie in 100 Jahren, in den Himmel zu malen.